Sonntag, 30. Dezember 2012


Kein Geräusch, nirgends! Das Weiß der eisigen Gipfel spiegelt sich im windstillen Wasser. Die Schatten unserer Masten fallen auf müde vorbei treibende Eisberge. Die gefrorenen Skulpturen sehen aus, als hätten sich Ernst Barlach und Salvador Dalí hier eine offene Galerie gestaltet. Das Meer am unteren Rand der Eisberge schimmert türkis. Karibisch verlockend. Mit dem Unterschied, dass die Wassertemperatur hier 1,6 Grad minus beträgt. 65°16'19 Süd! Das weiße Ende der Welt für mich! Der südlichste Punkt eines Abenteuers – unter eisigen Segeln in die Antarktis. Ein anderer Planet. Um hierher zu kommen, brauchst du kein Space Shuttle. Es genügt ein Schiff. Am besten eines mit Segeln wie die Bark Europa. Sie ist das einzige Segelschiff, das jede Saison in die Antarktis ausläuft. Die Törns dauern 22 Tage und kosten 5800 Euro pro Person in einer 4- bis 5-Personen-Kammer. Buchung unter: www.barkeuropa.com DAS BUCH 3 URLAUBER ALS MATROSEN Über den Atlantik wie vor 100 Jahren Segel setzten, Deck schrubben, kochen – wer einen Törn auf der „Roald Amundsen“ bucht, muss im Urlaub mit anpacken. mehr... ★★★ Meine Reise in die Stille beginnt im lauten Ushuaia. Gegründet als Strafkolonie in Argentinien ist die südlichste Stadt der Welt (knapp 70000 Einwohner) heute DER Ausgangshafen Richtung Antarktis. Qualifikation für das Betreten des weißen Kontinents scheint im 21. Jahrhundert das Erreichen des Rentenalters zu sein. Die meisten Touristen hier sind jenseits der 65. Sie bevorzugen die Reise auf den stählernen Maschinendampfern. Authentischer wird es für mich unter Segeln! Mit Windkraft im Kielwasser der Polarforscher und Walfänger. Wie ein maritimes Fossil liegt die Europa (1911 in Hamburg als Feuerschiff gebaut) mit ihren drei Masten zwischen den großen Kreuzfahrtschiffen und Fischtrawlern an der Pier. Zerbrechlich wirkt die Bark trotz ihre 56 Meter, der bis zu 33 Meter hohen Masten, neben den anderen Pötten. Dass ich trotzdem absolut richtig bin, weiß ich, als ich erstmals den Kapitän an Deck sehe. Vollbart. Lange Haare. Ein wettergegerbtes Gesicht. Klaas Gaastra geht schon optisch als Gefährte der ersten Südpolbezwinger Roald Amundsen und Robert Falcon Scott durch. Und: Der Holländer strahlt absolute Ruhe aus. Die Crew (17 Frauen und Männer) ist international: Holländer, Deutsche, Briten, Argentinier, Iren. Die 39 Gäste an Bord der holländischen Bark kommen aus Europa, Australien, Nord- und Südamerika. Und alle träumen vom stillen Paradies im Süden. Davor aber wartet noch die gefürchtete Drake Passage. „Was hinter diesem Felsen passiert, weiß man nie", warnt Klaas, als wir unter Segeln die Isla Nueva passieren, die Südspitze des Kontinents. Drei Ozeane prallen hier aufeinander. Dazu Tiefdruckgebiete aneinandergereiht wie eine Perlenschnur. Windstärke 7 bis 8 Beaufort. Die Wellen türmen sich auf rund acht Meter. Crew und Gäste stehen im Wachdienst am Ruder oder gehen Ausguck, wenn sie nicht von der Seekrankheit außer Gefecht gesetzt wurden. Die Ablösung kommt jeweils nach 20 Minuten. Der heftige Wind, nur fünf Grad Celsius – dauerhaft ist da auch die beste Hightech-Kleidung wirkungslos. Der Kapitän spricht es aus: „Die hohen Wellen, der Wind, die Seekrankheit - das ist der Eintrittspreis, den du für die Antarktis zahlen musst. Diese fast 500 Meilen Drake Passage machen dir klar, dass du auf dem Weg in eine andere Welt bist." Und bei all der Schaukelei, es ist ein erhebendes Gefühl in die Masten zu klettern, die Segel auszupacken. Das Gefühl einer Zeitreise. Nachts leuchtet das Kreuz des Südens von oben. An Bord der Europa gilt für Gäste: Nichts muss, alles kann! Vielen genügt es, im Deckshaus zu sitzen und geschützt hinter Glas, die wilde See zu bestaunen. Andere zieht es raus zum Segelsetzen, um die Drake wirklich zu spüren. Ich sitze gerade auf der Großuntermars-Rah, als ich drei Tagen nach der Abreise den ersten Kontakt zur Antarktis bekomme. Du riechst den Kontinent, bevor du ihn siehst. Es ist der Guano (Exkremente) der Pinguine, der sich eindringlich in die Nase drängt. Am nächsten Morgen stehen wir alle mittendrin. Barrientos Island, eine winzige Vulkaninsel, bevölkert von tausenden Esels- und Zügelpinguinen. Der Besuch menschlicher Zweibeiner scheint die Vögel zu amüsieren. Neugierig kommen manche langsam näher, stellen sich plötzlich zwischen die Füße der Insel-Touristen. Die Suche nach einem Windschutz! Und so bist du selbst in ihren Augen auch schnell nichts anderes mehr, als ein zu groß geratener Pinguin. Angst vor Menschen scheinen die Tiere nicht zu kennen. Ein Erfahrung, die wir fast täglich machen: ob mit Buckelwalen, See-Elefanten, Seeleoparden oder eben Pinguinen. Die Zeiten des großen Robben- und Walschlachtens sind hier schon Jahrzehnte vorbei. Die Antarktis ist das größte Schutzgebiet der Welt. Der Kontinent gehört keiner Nation. Nur den Tieren. Und auch wir Besucher sind nur vorübergehend geduldet. Jolande und Lex sind unsere Guides. Alles erklären sie, von der kleinsten Alge bis zum Wal. Und sind dabei auch Wildhüter der Antarktis. Sie sorgen dafür, dass wir keinem der Tiere zu nahe kommen. Das wir vor und nach jedem Landgang unsere Stiefel mit Lauge säubern. Schon kurz nach dem Ablegen in Argentinien wurden alle Klamotten mit einem Vakuumreiniger gesäubert. Nichts soll die Natur verändern. Kein eingeschleppter Pflanzensamen. Und nicht mal Zigarettenqualm. Auf dem Kontinent herrscht striktes Rauchverbot. Tag für Tag reisen wir südlicher in die geheimnisvolle Welt in Weiß! Immer weniger Felsen. Mehr Eisberge. Mehr Wale. Die Memory Card im Kopf ist jeden Abend übervoll. Es gibt wohl keine Seekarte auf der Welt, in der sich öfter der Begriff „unsurveyed“ („unvermessen“) findet als in der für die antarktischen Gewässer - auch wenn letzte Saison 22000 Touristen (jeder Zehnte aus Deutschland) den Kontinenten besuchten. Für Klaas, den Kapitän, ist auch der dickste Eisschollensalat kein Problem: „2000 segelte ich das erste Mal in die Antarktis. Hier hast du drei Jahreszeiten an einem Tag. Das Wetter ändert sich so schnell und damit die Bedingungen im Eis. Du musst einfach immer den Zeitpunkt im Auge habe, noch einen Weg aus der Eisdecke zurück zu finden. Dann ist Angst überflüssig.“ Der mit dem Eis tanzt! Klaas über die Faszination: "Dieser Kontinent ist etwas besonderes, schwer zu erreichen. Dazu die Atmosphäre. Unser Schiff sieht aus wie die der Entdecker vor über 100 Jahren. Allerdings mit eindeutig mehr Komfort innen.“ Hier funktionieren keine Handys. Die einzigen Gebäude sind Forschungsstationen und die Ruinen alter Walfängerhäfen wie die deprimierende Whaler's Bay auf Deception Island. Die einzigen Geräusche jetzt sind die spitzen Schreie der Raubmöwen, das feuchte Ausatmen der Buckelwale, das Knarzen des Schiffsrumpfes im Eis und das Klicken der Kameraauslöser. Ein Paradies der Schmerzen. Die extreme Trockenheit. Die wegen der dünnen Ozonschicht gefährliche Sonneneinstrahlung. Dazu die meist extreme Kälte. Nur knapp vier Monate im Jahr (von Ende November bis Mitte März) ist der Kontinent für Menschen überhaupt erträglich. Der Kapitän der Europa: "Der Mensch gehört hier nicht her. Anders ist es für die Tiere – für sie ist es ein Schlaraffenland. Ein anderer Planet und doch auf unserer Erde. Das ist der Reiz! Die Menschen wollen hierher, solange es in dieser Form noch existiert. Die Angst ist da, dass der menschliche Einfluss, die Klimaerwärmung, diesen Ort für immer kaputt macht.“ Nach 22 Tagen endet die Reise an Bord der Europa ins ewige Eis. Von der antarktischen Halbinsel geht es noch einmal durch die Drake Passage. Scharf vorbei am legendären Kap Hoorn, dem größten Schiffsfriedhof der Welt, zurück ins lärmige Ushuaia. Den Ruf des stillen Paradieses vernehme ich umso lauter...

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